perspectiva Impulse
Vom Zugang zum eigenen Menschsein und Auswegen aus dem Gruppennarzissmus
Dieser Tage ist unter dem Titel «Humanismus in Krisenzeiten» eine höchst lesenswerte Textsammlung des 1980 verstorbenen, promovierten Soziologen und praktizierenden Psychoanalytikers Erich Fromm erschienen. Fromms Werk, zu dem bekannte Bücher wie «Haben oder Sein» (1976) und «Wege aus einer kranken Gesellschaft» (1955) gehören, verbindet auf höchst aktuelle Weise individuelle und gesellschaftliche Phänomene:
Sowohl die «enorme Steigerung seelischer Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen», als auch gesellschaftlicher Rechtspopulismus und (gruppen-)narzisstische Entwicklungen wurzeln für Fromm in einer grundlegenden Entfremdung und Ohnmachtserfahrung des Menschen.
Ursächlich sind für Fromm gesellschaftliche Strukturen und «Filter», die Isolation und Feindseligkeit befördern, u.a. als Folge eines Wirtschaftssystems, «das auf skrupellose Selbstsucht und das Prinzip aufbaut, dass man einen eigenen Vorteil auf Kosten anderer sucht» und in dem «das technisch Mögliche zum moralischen Wert» wird.
Sie befeuern damit nicht nur die Flucht des sich selbst entfremdeten Menschen in materielle und mediale Ersatzbefriedigungen, sondern auch den Verlust eines lebendigen Interesses an der Aussenwelt, bis hin zu kollektiven (Ersatz-)Identitäten, deren Image aufs Höchste übersteigert wird, bei gleichzeitiger Herabsetzung einer «feindlichen» Gruppe und wütender Reaktion auf «jede wirkliche oder eingebildete Beleidigung", Kritik oder Anfechtung.
Weil diese Destruktivität für Fromm trotz allem aber «nicht […] Schicksal, sondern das Ergebnis ungelebten Lebens» ist, ist auch ein Anknüpfen an Humanismus und geistige Entwicklung immer möglich, durch aktive und verantwortliche Teilhabe, schöpferische Leistung, Beziehung zu anderen Menschen, vitale Ich-Erfahrungen.
Wege dazu bieten humanistische Lehren in Philosophie und religiösen Traditionen, wie aber auch jene konstruktiven Formen der Konfliktbearbeitung, die nicht direkt vom Konflikt in die Lösung, sondern den «Umweg» über die Erarbeitung der je subjektiven Interessen und Bedürfnisse gehen, der dann zu eben jener Voraussetzung an (Selbst-)Erkenntnis und innerer Verbindung mit sich und den anderen wird, wie z.B. in Mediation, Gewaltfreier Kommunikation, systemischem Coaching.
Denn mit Fromm ist klar: «Es gibt kein psychologisches Abkürzungsverfahren für die Überwindung der Identitätskrise, sie ist nur durch die fundamentale Umwandlung des entfremdeten in einen lebendigen Menschen zu überwinden».