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Ausbildungsinstitut perspectiva

Das Trapez des Lebens

Gemäss einer Ende März veröffentlichten Umfrage ist auch der «Weltpessimismus» der Schweizer*innen so hoch wie nie: 75% sehen die Weltlage eher oder sehr pessimistisch. Das deckt sich mit Trends aus umliegenden Ländern. So stellte das Rheingold Institut bereits 2023 fest: «Viele Deutsche fühlen sich ohnmächtig.»

Melanie Wolfers, deutsche Theologin und Philosophin, widmete diesem Gefühl des Ausgeliefertseins angesichts des Eskalationspotenzials von Kriegen und bedrohlichem Klimawandel 2023 ein lesenswertes Buch. Sie zeigt, dass wir Ohnmacht nicht nur hinsichtlich der aktuellen globalen Lage, sondern auch alltäglich und zeitlebens erleben, gegenüber Mitmenschen, Unglück, Krankheit, Alterung.

Ohnmachtserfahrungen begrenzen – ganz normalerweise und in vielfältigen Lebensbereichen – unseren Einfluss und unsere Möglichkeiten. Wolfers plädiert dafür, in jedem einzelnen Fall diese Grenzen nüchtern zu analysieren und unsere eigenen Erwartungen zu überprüfen, um sich von überzogenen Machbarkeitsfantasien ebenso freizumachen wie von zu passivem Fatalismus.

Darüber hinaus identifiziert sie als zentral und «sinnstiftend»: «Dankbarkeit, Freude, Vertrauen, Verzeihen, Zuversicht, tatkräftiges Hoffen und Innehalten». Allerdings handelt es sich hierbei «nicht um Eigenschaften, die wir haben, sondern um Haltungen». Als diese können und müssen sie entwickelt und immer wieder trainiert werden, damit sie miteinander verbunden, Wolfers «Trapez des Lebens» bilden.

Es sind dies gleichzeitig zentrale Haltungen, die im Zentrum stehen, wenn Menschen sich - als persönliche Weiterbildung oder neue Berufsperspektive – Mediation als konstruktiver Konfliktlösung, systemischem Coaching, Resilienz, Gewaltfreier Kommunikation etc. zuwenden. Diese Praxen befördern einen konstruktiven Umgang mit herausfordernden Situationen – es scheint, als könnten wir gesellschaftlich sehr viel mehr davon brauchen. Mit Wolfers Worten: «Der Ort ist der konkrete Alltag und die Zeit ist jetzt. Beginnen Sie einfach dort, wo Sie stehen».

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Strategie Umdeutung oder was Uhus von Ühus lernen können

Vor 25 Jahren stellte der sardische Mediziner Gianni Pes erstmals seine Untersuchungen zu den „Blauen Zonen“ vor. Es handelte sich um – auf seiner Karte mit blauem Filzstift umrandete – Dörfer, die eine im Vergleich zur Einwohner*innenzahl überdurchschnittliche Dichte an über Hundertjährigen aufwiesen.

Weltweit gibt es fünf dieser Zonen und seither intensive Forschung zum Lebensstil ihrer hochbetagten Bewohner*innen. Gemeinsamkeiten liegen dabei nicht nur in einer gesunden Ernährung, „täglicher Bewegung in konstant niedriger Intensität“ wie etwa längeres Gehen oder Gartenarbeit, sowie einem sozialen Umfeld mit guten Beziehungen und Austausch.

Daniela Jopp, psychologische Altersforscherin, macht auch besondere Bewältigungsstrategien aus, Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ändern sind. Das „passive Coping“, also ein akzeptierendes Anpassen an Gegebenheiten, wie z.B. gesundheitliche Beeinträchtigungen, das Nachlassen der Sinne, ohne daran zu verzweifeln, zeichnet sich dabei durch hilfreiche Umdeutung (Reframing) aus: So „verweisen sie häufig darauf, dass sie sich nicht beschweren wollen, da doch alle anderen ihrer Geburtskohorte bereits verstorben sind“.

Dieses Erweitern des Vergleichsrahmens und damit zusammenhängend ein Perspektivenwechsel, sind wichtige – und lernbare – Techniken in Mediation und Coaching. Verbunden mit Dankbarkeit, Optimismus und Humor, wirken sie einer Eng-Sicht entgegen, lassen das „big picture“ und damit konstruktive Deutungs- und Handlungsoptionen, sichtbar werden.

Meinen beiden Grossmüttern, deren eine in hochbetagtem Alter über ihre Gefährt*innen humorvoll von „Ühus“ und „Uhus“ sprach, also „über Hundertjährigen“ und „unter Hundertjährigen“, und deren andere heute ihren 104. Geburtstag feiert, bin ich an dieser Stelle zu höchstem Dank verpflichtet und überzeugt, dass wir „Uhus“ viel von den „Ühus“ lernen können.

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Es geht um Anerkennung

Die Wut auf den Strassen und in den sozialen Medien, einander unversöhnlich gegenüber stehende politische Gruppen und Lager, populistisches Abdriften breiter Bevölkerungsteile und gewalttätige Auswüchse stellen eine ernst zu nehmende Herausforderung dar, zusätzlich zu den inhaltlichen Krisen von Kriegen, Klimawandel und weltweiten Flüchtlingsströmen.

Aktuelle Studien, u.a. des Soziologen Nils Kumkar, der Meinungsforscher Knut Bergmann und Matthias Diermeier, wie auch des Soziologen Wilhelm Heitmeyer zeigen dabei die Heterogenität der Protestaktivist*innen und -wähler*innen. Was sie eint, sind weder bestimmte wirtschaftliche Lagen noch gesellschaftliche Milieus. Es ist Unzufriedenheit, mit der Politik insgesamt, der eigenen Lage, den eigenen Chancen, geringe Frustrationstoleranz, Angst vor Kontrollverlust.
Entsprechend inhaltlich kontur- und zusammenhangslos erscheinen die populistischen Versprechungen. Ihr Kern ist allein das (vermeintliche) Wiederherstellen von Kontrolle, das Sichtbarmachen, das Gehörverschaffen: „Es geht nicht den um Agrardiesel. Es geht um Anerkennung“, sagt der Politikwissenschaftler Martin Hecht.

Strukturelles Kennzeichen grosser gesellschaftlicher Krisen ist gemäss Heitmeyer gerade, „dass die Instrumente zur Lösung nicht mehr sofort und nicht mehr kostenlos funktionieren“. Die notwendigen Strategien gesellschaftlicher Entwicklung erwachsen nicht aus kurzfristigen und einfachen Antworten, sondern erfordern vielfältige Ansätze und „gleichzeitig, nebeneinander herlaufende, einander ergänzende Massnahmen“ (Richard F. Behrendt).

Diese zu finden und umzusetzen braucht es für Heitmeyer vor allem eine „konfliktfähige Zivilgesellschaft“. Sie beginnt im sozialen Nahraum, mit dem Aufbau tragfähiger sozialer Netze, die Einzelne auffangen, Sinn stiftendes Tätigsein und Begegnung ermöglichen, in denen alle Menschen sich aufgehoben und wahrgenommen fühlen: Es geht um Anerkennung.

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Worauf man in sich und in anderen zählen kann

Viel ist aktuell die Rede von Institutionen, die in unseren Gesellschaften bedroht sind, wie z.B. Demokratie, Rechtssicherheit und Unabhängigkeit der Justiz, Medienfreiheit, Meinungsvielfalt und (gewalt)freie Diskussion.

Institutionen sind gemäss soziologischer Theorie die organisatorischen Umsetzungen von Leitideen bzw. Werthaltungen, an denen sich Menschen in ihrem Handeln orientieren. Sie strukturieren Gesellschaft, generieren Erwartungssicherheit, bilden quasi die Aussenstütze des Verhaltens. «Sie sind die Formen, die ein seiner Natur nach riskiertes und unstabiles, affektüberlastetes Wesen findet, um sich gegenseitig und um sich selbst zu ertragen, etwas, worauf man in sich und in anderen zählen und sich verlassen kann" (Arnold Gehlen, 1904-1976).

Werden Institutionen brüchig, finden sich Einzelne zunehmend mit Entscheidungszumutungen überfordert. Aus dieser Verunsicherung der Vielen entsteht angstvolle Affektbereitschaft, "Misstrauen als Atmosphären-Bestandteil", die "Vordergründigkeit des Subjektiven", so Gehlen (in "Urmensch und Spätkultur"). Die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft ist dann tatsächlich unmittelbar bedroht.

Natürlich müssen Institutionen Bedürfnisse befriedigen und funktionieren. Wo sie dies nicht (mehr) tun, braucht es organisatorische Anpassung und Weiterentwicklung. Die zugrunde liegenden Leitideen aber als solche in Frage zu stellen, hiesse, das Kind gleichsam mit dem Bade auszuschütten. Was tut not?

Aufklärung braucht (Weiter-)Bildung, in (gewaltfreier) Kommunikation, Mediation, Moderation, Organisationsentwicklung u.a., um differenziert, adressat*innengerecht und wertschätzend zu kommunizieren, mit Widersprüchen und Komplexitäten, verwoben mit Emotionen, konstruktiv umzugehen, um Konflikte zu lösen, statt sie anzuheizen und zu verschärfen.

In unserem Institut hängt ein Cartoon: Ein Grossvater fragt seine kleine Enkelin: «Sind in Eurer Klasse auch schon so viele Ausländer?» Sie antwortet: «Nein, bei uns sind eigentlich nur Kinder.»

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Kompetenzen für den Wandel

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind", lautet eine Einsicht Albert Einsteins nach dem Zweiten Weltkrieg, der am 1. September vor 85 Jahren begann. Wie weit sind wir seither?

Gemäss der Konfliktdatenbank der schwedischen Universität Uppsala, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Daten zu kriegerischen Auseinandersetzungen auswertet,  war 2023 das Jahr mit der höchsten Anzahl aktiver staatlicher bewaffneter Konflikte und sehr vielen Todesopfern weltweit.

Gleichzeitig wäre Wissen über Konflikte und ihre konstruktive Lösung grundsätzlich vorhanden. Offenbar ist es aber zu wenigen bekannt und wird daher zu wenig genutzt. Dabei sind im Kern ungelöst bleibende Konflikte, die nach langer Zeit nur enden, weil Energie und Ressourcen erschöpft sind, die häufigsten Gründe für nächste Eskalationen.

Was also wären alternative Denkweisen, um echten Frieden zu schaffen und Konflikte nachhaltig und gewaltfrei zu lösen? Mediation und mediatives Handeln wie auch die Gewaltfreie Kommunikation setzen nicht bei den strittigen Positionen, sondern den dahinter liegenden Interessen und Bedürfnissen der Beteiligten an. Diese grundsätzlichen Bestrebungen, Anliegen, Werte gilt es herauszuarbeiten, um dafür zunächst ein gegenseitiges Verständnis resp. Respekt ihrer Daseinsberechtigung und damit eine Basis für gemeinsame Lösungssuche zu erlangen.

Sowohl Mediation wie auch Gewaltfreie Kommunikation sind dabei von allen erlernbar und können allen in ihren jeweiligen Kontexten nützen. Sie sind anwendbar in sozialen Beziehungen, Familien, Nachbarschaft, Schulen, Wirtschaft und Gesellschaft bis hin zur makropolitischen Ebene. Betreffend der Relevanz von Kompetenzen für Alltagskontexte formulierte übrigens einst Winston Churchill: „Es ist einfacher, eine Nation zu führen als vier Kinder zu erziehen.“

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